erschienen in KP 33/2016

Zur Kommunismusdiskussion

Es gibt zahlreiche gute Gründe, sich über den Kommunismus oder – ganz allgemein – über eine neue Gesellschaft, die unsere Verhältnisse ablöst, zu verschweigen. Der wichtigste Grund ist, dass wir darüber nichts wissen.

Gegen die herrschenden Verhältnisse

Um sich gegen die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse auszusprechen, genügt, diese zu beobachten, zu analysieren und sie als unbrauchbar, widersprüchlich und nicht ihre eigenen Versprechungen erfüllend (und wohl auch gewalttätig) zu verwerfen. Im alltäglichen Leben stoßen wir auf genug dieser Sachverhalte, um nicht nur ein Gefühl von ungerechter Behandlung durch diese Verhältnisse, sondern auch ein Gefühl für die krisenhafte Entwicklung dieser Gesellschaft zu bekommen. Dieses Gefühl zur Analyse weiterzuentwickeln, ist das Gebot der Stunde.

Dabei können wir sehr oft die Erfahrung machen, dass Ergebnisse von politischem Engagement, das seine Rechtfertigung und Legitimierung aus eben solcher Analyse und Kritik zieht, gerade nicht dieser kritischen Analyse entsprechen: Oft stellen wir fest, dass soziale Errungenschaften nur die gegenwärtigen, herrschenden Verhältnisse verbessern oder optimieren und bei Bedarf oder Mode auch wieder als reaktionär und nicht mehr zeitgemäß zurückgenommen oder ganz verworfen werden. Die Geschichte des Sozialstaats und seiner Erfolge, seiner Modifikationen und – wie es heute heißt – Reformen erzählt davon mit beredter Sprache.

Wenn wir aber von gesellschaftlichen Verhältnissen reden, die erst gegen die heutigen hergestellt werden müssen, und wenn wir über die tägliche Politik, das tägliche Engagement hinaus den Bruch mit der jetzigen Gesellschaft propagieren, ihren Untergang als Programm haben, dann dürfen wir nicht in den Fehler verfallen, den schon Columbus gemacht hat: Indien zu sehen, wo Amerika war. Wir sollen und dürfen nicht von Dingen reden, die uns verborgen und nicht definierbar sind. Ein solcher Diskurs ist nur als Theologie möglich.

Wir heben uns von unserer Gesellschaft ab und verlassen sie wenigstens im Geiste oder im Programm, indem wir uns negativ auf sie beziehen. Das muss für s Erste genügen und ist schwierig genug zu vermitteln: gesellschaftliche menschliche Verhältnisse ohne das Gewohnte – ohne Geld, ohne Arbeit, ohne Zeit. Zu diesem negativen Bezug auf unsere Verhältnisse gehört auch, dass wir nichts Positives über nicht bürgerliche Verhältnisse sagen können. Vorbürgerliche Gesellschaften liefern zwar den Sachbeweis, dass unser Recht nicht immer gültig war, dass unter Arbeit etwas anderes verstanden wurde, dass Geld keine allgemeine Warte war, sondern eine konkrete Menge an Edelmetallen, die zu nichts gut waren außer zu Schmuck, Reverenz, Repräsentation (Wurden je Schwerter oder Hämmer aus Gold und Silber gefunden? Dass in unserem Währungssystem der Goldstandard aufgegeben wurde, ist nur logisch; ein letztes Abstreifen vorbürgerlicher Verhältnisse zu Gunsten abstrakten Kredits und abstrakter Kreditwürdigkeit, unterfuttert durch politische und militärische Macht.)

Dennoch können wir aus der blanken vorbürgerlichen Vergangenheit nichts für uns in Anspruch nehmen. Diese gesellschaftlichen Verhältnisse basierten auf religiöser Anleitung, persönlicher Freiheit oder Unfreiheit, auf Krieg als legitimem Mittel standesgemäßen Einkommens oder auf Plackerei unter technisch nicht allzu sehr entwickelten Bedingungen, verschärft durch  persönliche Abhängigkeit. So wie heute Wert als natürliche Eigenschaft Dingen zugeschrieben wird, so wurde damals Stand als ebenso natürliche Eigenschaft den Menschen zugeschrieben – nichts also, worauf wir uns gerne beziehen wollen.

Umgekehrt kennen wir nachbürgerliche Gesellschaften schlechthin gar nicht. Wir wissen nur, dass sie möglich sein müssen, und das aus zwei Gründen. Einerseits hat es nicht bürgerliche Gesellschaftsformen nachweislich gegeben und sie haben lange Zeit – schriftlich dokumentiert einige Jahrtausende – gehalten. Zum anderen steigern sich die Widersprüchlichkeiten und Aporien unserer gegenwärtigen Verhältnisse des Modernen Ensembles in s nicht mehr Praktikable. Dabei ist allerdings zu befürchten, dass nicht die herrschenden Verhältnisse implodieren, indem sie anderen den Platz räumen, sondern dass sie stattdessen weiter bestehen und dafür ihre (und unsere) eigenen menschlichen Lebensgrundlagen zu Grunde richten. Um also Lebensgrundlagen zu erhalten, muss es eine nachbürgerliche Gesellschaft geben.

Was tun?

Konfrontiert mit der Frage, wie diese andere Gesellschaft auszusehen hätte, müssen wir uns hüten, falsche Vorstellungen hervorzurufen, die zu allem Überdruss noch unserer beschränkten bürgerlichen Wahrnehmung geschuldet sind. Es ist unzweifelhaft bequem (und wenn sich eins dabei noch auf Marx berufen kann, umso bequemer), an vorhandenen augenfälligen Widersprüchlichkeiten anzuknüpfen und daraus Vorstellungen zu entwickeln, die frei von diesen Widersprüchlichkeiten sind und oder  sie aufzulösen im Stande scheinen.

Genau dies dürfte bei der „Spurensuche nach Elementen einer kommunistischen Gesellschaft“ (Ausgabe 30/2016, 12. 08. 2016) geschehen sein. Anhand der Verteilung von Gebrauchsgütern werden hier verschiedene Szenarien entworfen, die Logistik und Transport von Gütern mit geringem personellen Aufwand möglich scheinen lassen. Berücksichtigt und in Rechnung gesetllt werden dabei als Merkmale nicht bürgerlicher Verhältnisse auch abgeschaffte Konkurrenz oder die nicht mehr stattfindende Produktion von Gütern, für die kein gesellschaftliches Bedürfnis besteht, wobei völlig korrekt auch das Automobil unter diese Liste gezählt wird. Allerdings werden dabei konkrete Zahlen und Fakten zu Rate gezogen, die dann zu Schlüssen verleiten, die meiner Meinung nach vom Thema des Kommunismus und möglicher Vorstellungen davon wegführen. Ich möchte dies an folgendem Zitat aus dem erwähnten Artikel zeigen:

„Zu dieser Einschätzung der Gesamtlage innerhalb des Transport- und Verteilungswesens sind die Möglichkeiten zur konkreten Ausgestaltung der Verteilung, wie sie exemplarisch durch das Unternehmen Amazon organisiert wird, absolut begrüßenswert. Allein die Etablierung des Internets zur Bedarfsermittlung von Millionen von Menschen ist ein Meilenstein für die Entwicklung einer planvollen und bewusst gesteuerten Reproduktion der Gesellschaft. Neben der zentralen Planstelle und den Zentren zur Kommunikation mit den Konsumenten („Kundenservice“) existieren deutschlandweit acht Logistikzentren, über die die Belieferung der gesamten Einwohnerschaft mit Gütern aller Art innerhalb weniger Tage bewerkstelligt wird. Auch die Überlegungen zur Zentralisierung der Auslieferung vermittelst elektronischer Paketstationen ist an und für sich eine positive Entwicklung, die das lästige Anfahren der privaten Wohnungen („Kundenservice“) und somit die Arbeitszeit der TransportarbeiterInnen weiter verkürzen könnte. Die Enteignung des Amazon-Konzerns und seiner Geschwister und ihre Überführung in gesellschaftliches Eigentum unter Kontrolle der dort Arbeitenden im Rahmen einer kommunistischen Revolution wäre also ein unbedingter Fortschritt für die gesellschaftliche Entwicklung, der keineswegs allzu viel Phantasie abverlangt.“

Hier wird also bei der Diskussion von Elementen des Kommunismus gleich Mehreres vorausgesetzt und diese Voraussetzungen werden nicht thematisiert. Ich kann hier nur einiges andeuten und will nicht Wort für Wort die Überlegungen der AutorInnen besprechen. Aber da haben wir z. B. „das lästige Anfahren der privaten Wohnungen“, das die Arbeitszeit der TransportarbeiterInnen verkürzen soll, und die exemplarische Ausgestaltung der Verteilung, die begrüßenswert sei.

Private Wohnungen? Sind die in einer kommunistischen, nicht bürgerlichen Gesellschaft vorausgesetzt? Gibt es die noch? Sind sie nicht Ausdruck der bürgerlichen Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit, von Produktion und Reproduktion, von Wert und Absspaltung?
Die lästigen Fahrten? Arbeitsplatz und Wohnplatz liegen heute in unseren metropolitanen Zentren so weit auseinander, dass diese Entfernungen lästig sind, weniger die Fahrten, wo doch heutigentags die immer größere Entfernung und deren immer schnellere Überwindung zur gesellschaftlichen Tugenden hochgejubelt werden.
Ausgestaltung der Verteilung à la Amazon und Internet? Wird die Massengesellschaft als kommunistisches Erfordernis vorausgesetzt? Bedeutet planetare Organisation sofort das Bewegen riesiger Massen? Massen von Menschen und Gütern? Hat Logistik nur mit Masse und Geschwindigkeit zu tun? Warum müssen wir diese Parameter übernehmen, wenn wir von einer kommunistischen Gesellschaft träumen?

Wir sehen schon, dass die ganze Sache auf theoretisch und wohl auch praktisch eher schwachen Füßen steht. Was wir also auseinanderhalten müssen, ist einerseits die Verbesserungsmöglichkeit im Rahmen bürgerlicher kapitalistischer Verhältnisse des Modernen Ensembles, die im ideologischen Rahmen des Fortschrittsparadigmas immer wieder abgerufen wird, beziehungsweise die Notwendigkeit, im Rahmen des gesellschaftlichen rollback gegen Verschlechterungen anzugehen und den Klassenkampf nicht den Herrschenden zu überlassen. Dieses politische Engagement von Tag zu Tag sollte aber nicht damit verwechselt werden, dass darin schon die Keimzellen für nicht bürgerliche Verhältnisse zu finden wären. Die liegen eher in paradoxen gesellschaftliche Forderungen oder Kampfformulierungen („Eine Welt ohne Gewalt muss unvernünftig sein!“ „Keine Grenzen, alle sind fremd!“ und Ähnliches), nicht aber in der Fortschreibung ökonomischer Kennzahlen in eine ungewisse, aber schön imaginierte Zukunft.

Das soll natürlich nicht bedeuten, dass Überlegungen zu Individual-, Massen- und öffentlichem Verkehr, zu Transport, Logistik und Mobilität unter dem Gesichtspunkt von Ressourcenschonung, Vermeidung von Belästigung, Arbeit und Umweltbelastung und der Diskussion von „richtigen“ und „falschen“ Bedürfnissen, dass politisches Engagement in diesem Bereich abzulehnen wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Es geht um unsere ureigenste Lebensqualität.

Aber wenn wir von Kommunismus reden, müssen wir uns auf die negativen Beziehungen zu unserer Gesellschaft beschränken. Wie diskutieren wir das Thema „Keine Arbeit“? Was bedeutet Tausch, wenn er nicht wie in der bürgerlichen Ökonomie und Gesellschaft als gerechter oder Äquivalententausch abgehandelt werden wird? Was bedeutet Aufgabe der Subjektivität? Ich denke, hier und auf ähnlichen Feldern liegen die Diskussionslinien für „Elemente des Kommunismus“ und so möchte ich mit dem großen deutschen Philosophen Karl Chemnitz schließen: „Dixi et salvavi animam meam.“